Vorträge, Aufsätze

Europäische Donau-Akademie: Netzwerk für Wissenschaft, Bildung, Kultur und Medien im Donauraum Profil und Aufgaben 2017ff
Autoren: Peter Langer, Christof Hußmann, Paul F. Langer

Die Europäische Donau-Akademie (EDA) arbeitet an der Zusammenarbeit in Wissenschaft, Kultur, Bildung, Politik und Medien im Donauraum. Mit ihrem Netzwerk und ihren Projekten trägt sie zur Völkerverständigung mit den südosteuropäischen Ländern bei und fördert damit den europäischen Integrationsprozess.
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Bilder vom Donauufer. Rede von György Konrád aus Anlass des 10. Internationalen Donaufestes am 3. Juli 2016 im Ulmer Rathaus

Lieber Ivo Gönner, lieber Peter Langer, verehrter Herr Oberbürgermeister Czisch und sehr verehrte Einwohner der Stadt Ulm!
Vor achtzehn Jahren durfte ich an diesem Ort literarisch verspielt im Namen der Donau eine Rede halten, die Bürger dieses Beckens dazu ermuntern, dem großen europäischen Strom feierliche Ehrerbietung zu bekunden, der Donau, fließt sie doch hier seit uralten Zeiten zu unser aller körperlichen und geistigen Mehrung…
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Internationales Donaufest Ulm/Neu-Ulm 2016: Vision und Verantwortung für Europa
Autor: Peter Langer

Wir feiern in diesem Jahr die 10. Auflage des Internationalen Donaufestes Ulm/Neu-Ulm. Jedem, der dabei war, klingt noch immer die sonore Stimme von György Konrád in den Ohren, der am 3. Juli 1998 mit seiner „Donauanhörung“ das erste Donaufest auf dem Münsterplatz eröffnete
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Makroräume als Orientierung für Kompetenzentwicklung – Governance und Bildung in Südosteuropa im Kontext der EU-Donauraumstrategie
Autor: Ulrich Klemm

Auf Einladung der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Erwachsenenbildung und Raum“ bei der Tagung „Raus aus dem Container“ – Handlungsorientierte Raumansätze in der Erwachsenenbildung“ am 7./8. März 2014 an der Fachhochschule Nordwestschweiz/Pädagogische Hochschule Basel.
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URBANISMUS VERSUS ETATISMUS
Autor: GYÖRGY KONRÁD

Wien, 9. Dezember 2013

Unter den Ämtern des öffentlichen Dienstes gefällt mir vor allem das Bürger-meisteramt. Denn es ist umfassend und praktisch zugleich, symbolisch und technisch. Zwei sympathische Begriffe verknüpfen sich darin: Bürger und Meister. Sowohl im Ungarischen wie auch in einigen anderen Sprachen. Und wir können die Reihenfolge der Wörter auch umkehren: Meisterbürger. Keine leichte Rolle, erster Bürger einer Stadt zu sein, Entscheidungen zu fällen, zu reden, zu organisieren und eine Atmosphäre zu schaffen. Eine demokratische Rolle; von einer Diktatur des Bürgermeisters ist selten zu hören.
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Bildungsraum Südosteuropa.
Dimensionen von Erwachsenenbildung im Horizont von Transformationsgesellschaften
Autor: Ulrich Klemm

Die Bildungslandschaft in Südosteuropa entlang der Donau ist von einer so großen kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt geprägt wie die ökologischen Landschaften längs des fast 3.000 km langen Flusslaufs vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer selbst.
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Aus der Zusammenarbeit der Städte und Regionen entsteht der neue europäische Donauraum
Autor: Peter Langer
Präsentation EUSDR (ppt)


Europa an der Donau

Autor: Peter Langer
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Stadt – Land – Fluss – Europa
Autor: Peter Langer

Ein Fluss ist mächtig. Das gilt allemal für die Donau. Sie fließt fasst dreitausend Kilometer vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer, eine natürliche Verbindung vom Westen quer durch Europa bis zu seinem anderen Ende im Südosten: ein europäisches Wunder. Die Donau verbindet zehn europäische Länder, alte und neue Demokratien, viele Völker und Kulturen. An ihren Ufern leben über hundert Millionen Menschen. Sie ist immer in Bewegung, kann Schiffe versenken und Städte überschwemmen. Aber eines kann sie nicht: innehalten.
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Kulturelle Identität im Donauraum
Autor: Peter Langer

Kulturelle Identität im Donauraum – ein großes, ein schwieriges Thema. Als erste Annäherung will ich den Untersuchungsgegenstand selbst zu Wort kommen lassen:

„Seht mich an, sagt die Donau, groß bin ich schön und weise. Niemanden in Europa gibt es, der mir das Wasser reichen könnte. Ausstrecken möchte ich mich der Länge nach über eure Städte, lasst euch nieder zu beiden Seiten meines Ufers, ich will eure Hauptstraße sein“.

So lässt György Konrád die Donau sprechen. Auf ihrem annähernd 2900 Kilometer langen Lauf bildet sie die Achse Mittel- und Südosteuropas und verbindet den Schwarzwald mit dem Schwarzen Meer – an sich schon ein europäisches Wunder.

Seit der weltpolitischen Wende von 1989/90 durchfließt der Strom zehn europäische Länder, von denen mit Rumänien und Bulgarien 2007 das fünfte und sechste EU-Mitglieder geworden sind. Und auch Serbien und Kroatien sehen ihre nahe Zukunft in der europäischen Gemeinschaft. Insgesamt 14 Länder liegen im Donaubecken, dem Einzugsbereich des großen Stroms. Die Donau-Anrainerstaaten stellen eines der bedeutendsten sozio-ökonomischen Potenziale innerhalb Europas dar. 115 Mio. Menschen leben allein in den Ländern, Regionen und Städten, die unmittelbar an der Donau liegen. Von daher war es nur folgerichtig, dass der Europäische Rat im Juni 2009 die EU-Kommission beauftragt hat, eine „Donau-Strategie“ zu erarbeiten und damit – nach der Ostseestrategie – ein weiteres Entwicklungsprogramm für eine Makroregion innerhalb der EU zu schaffen. Man könnte zugespitzt sagen: der Rhein ist der Fluss der europäischen Vergangenheit, die Donau der Strom der europäischen Zukunft.

Die Donauregion zeichnet sich durch eine kulturhistorische Bedeutung und kulturelle Farbigkeit aus, die in Europa einzigartig ist. Das Aufeinandertreffen verschiedenster Einflüsse – von der Habsburger Monarchie mit seiner katholisch- abendländischen Ausprägung über die byzantinische Orthodoxie bis hin zum osmanischen Reich, um nur die wichtigsten zu nennen – haben entlang der Donau eine Perlenkette von Städten, Kulturlandschaften und -denkmälern entstehen lassen.

Mit Wien, Bratislava, Budapest und Belgrad liegen allein vier europäische Hauptstädte und Kulturmetropolen an der Donau. Kathedralen, Kirchen, Klöster, Schlösser, Burgen und Festungen prägen den Lauf des Stroms. Und dazu durchfließt er Naturlandschaften, die in ihrer Schönheit und Vielfalt den Atem rauben: vom idyllischen Oberlauf über die Wachau durch die Weite der ungarischen Tiefebene, die grandiose Schroffheit des Eisernen Tores bis hin zum Naturparadies Donaudelta, wo sich die Donau in der unendlichen Weite des Schwarzen Meers verliert.

Niemand hat das besser dargestellt als Claudio Magris in seiner immer noch unübertroffenen Donau-Biographie: „… nicht umsonst ist die Donau der einzige wahrhaft europäische Fluss, protestantisch an seinem Ursprung, dann katholisch schließlich orthodox; in ihr spiegeln sich römische Ruinen wie byzantinisch Kuppeln, Kathedralen wie Synagogen, barocke wie auch osmanische Pracht“.

Die Kultur und insbesondere die Festivallandschaft entlang des Stroms bieten den ganzen Reichtum der Musikstile und Tanzkulturen, den die Donauregion zu bieten hat. Traditionelle Klänge und Tänze neben elektronischem Ethno- und Gypsy-Sound, Klassik neben Avantgarde, Zigeunermusik neben Rock, Pop und Jazz. Aus der Begegnung zwischen Tradition und Moderne entsteht immer wieder ästhetisch Neues, Ungewöhnliches. Dies gilt vor allem für die aktuelle Theaterszene in den Donauländern. Frühlings-, Herbst- und Sziget-Festival in Budapest, EXIT in Novi Sad, BITEF in Belgrad, Festivals in Rumänien und Bulgarien haben längst europaweite Ausstrahlung. Mit Sibiu, Linz und Pecs waren allein drei Städte in Donauländern in den letzten Jahren europäische Kulturhauptstädte.

In den letzten Jahren sind Festivals entstanden, die den Fluss selbst zum Thema machen und Künstlern und Ensembles aus den Donauländern eine Plattform bieten wie das Donaufest in Ulm/Neu-Ulm, die Donumenta in Regensburg oder das Internationale Donaufestival im rumänischen Tulcea, dem Tor zum Donaudelta. Dass dies auf wachsendes Interesse stößt, zeigen die 250.000 Besucher, die im vergangenen Jahr zum Donaufest nach Ulm und Neu-Ulm gekommen sind. Dort präsentierten sich unsere befreundeten Donaustädte und -regionen mit Musik- und Tanzensembles, Theater, Kunsthandwerk, Ausstellungen und Tourismus-Informationen.

Die Vielfalt der Kulturen und Lebensstile, ihre Sinnlichkeit und Lebendigkeit zu erfahren und dazu noch unbekannte Naturschönheiten entlang des Stroms kennen zu lernen – das ist auch die Grundlage für alle Formen des Kulturtourismus in den Donauländern. Hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, wie das Beispiel des Projektes eines Donauradwanderwegs über den bisherigen hinaus, nämlich von Budapest bis zum Schwarzen Meer zeigt.

Die Donau verbindet vor allem Städte und Regionen. Wenn wir „kulturelle Identität“ mit George Herbert Mead als Zugehörigkeit zu einem bestimmten kulturellen Kollektiv verstehen mit der Bereitschaft, für dieses Kollektiv verantwortlich zu handeln, dann sind es vor allem die Städte und Regionen, in denen ein solcher Prozess stattfinden kann.

In den Städten und Regionen werden die gemeinsame Geschichte, Gegenwart und Zukunft an der Donau am stärksten und unmittelbarsten erlebt – Grundlage jeder Identitätsbildung. Nehmen wir Ulm mit seiner reichhaltigen Geschichte mit und entlang der Donau. Von hier aus zogen Tausende von Menschen – die Donauschwaben – vor 300 Jahren auf „Ulmer Schachteln“ den Fluss hinab nach Südungarn, ins Banat, in die Batschka, aus schierer Not, um dort eine neue Heimat zu finden und über Jahrhunderte mit anderen Volksgruppen friedlich zu siedeln und fruchtbare Landschaften zu schaffen.

Das ist Geschichte.

Aber gerade in unserer Region leben bis heute viele Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft einen persönlichen Bezug zu den Regionen und Ländern entlang der Donau haben – seien es donauschwäbische oder andere Migrationszusammenhänge – und die heute ihre persönliche Donau-Geschichte, ihre „Donau-Identität“ wieder entdecken.

Das Europa der Zukunft ist ein Europa der Städte und Regionen. Nichts verkörpert diesen Grundsatz europäischer Verfassungspolitik besser als die immer engere Zusammenarbeit und Partnerschaft unserer Städte und Regionen entlang der Donau. Seit vielen Jahren werden gemeinsame Projekte in Kultur, Wissenschaft, Bildung, Ökologie und Wirtschaft entwickelt und durchgeführt. Immer häufiger kommt es zu Begegnungen junger Menschen (und Senioren, Carmen!). Es entstehen Partnerschaften und persönliche Freundschaften und es bilden sich immer mehr feste, unsere Städte und Regionen verbindenden Strukturen wie das Netzwerk der Donaustädte und -regionen. Wir haben am 11. Juni 2009 in Budapest einen Rat der Donaustädte und -regionen gegründet. Er wird uns bei den europäischen Institutionen mehr Gehör und Gewicht verschaffen und einen konkreten Beitrag zur Schaffung eines integrierten europäischen Donau-Raums leisten.

Wenige Tage nach Budapest hat der Europäische Rat die EU-Kommission beauftragt, eine „Strategie für den Donau-Raum“ zu erarbeiten. Dieser Beschluss hat unser ehrgeiziges Projekt einen guten Schritt vorangebracht: die Schaffung eines gemeinsamen, politisch, wirtschaftlich und kulturell miteinander verbundenen Entwicklungsraum entlang der Donau, eine europäische Makroregion vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer. Wenn dieses Projekt greifen will, dann muss es einen nachweisbaren Beitrag zur Entwicklung kultureller und politischer Identität im Donauraum leisten. In einem Papier zur EUSDR heißt es dazu:

„Einerseits ist der Donauraum kulturell und geschichtlich eng miteinander verbunden, zugleich aber hinsichtlich der Sprachen – 20 Sprachen! -, Kulturen, Religionen – fünf Religionen -, Wirtschafts- und Staatsformen ein heterogener Raum, dessen Zusammenwachsen ohne ein gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Region und ein gemeinsames Verständnis von regionaler Identität nur schwer zu erreichen ist. Die EU-Donauraumstrategie kann hier einen Beitrag leisten, diese Verbundenheit durch kulturelle, wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und kommunale Zusammenarbeit zu stärken. Der Donauraum muss zu einem europäischen Markenzeichen gemacht werden, die Strategie zu einem Element der Stärkung der regionalen Identität der Menschen, die in diesem Raum leben. Hierzu müssen Projekte entwickelt werden, die die kulturellen Gemeinsamkeiten, aber auch die kulturelle Vielfalt entlang der Donau fördern.“

Lassen Sie mich dazu einige Felder benennen:

„Kultur ist die Seele Europas“ ist ein Grundsatz der EU-Kulturpolitik. Gerade der Donauraum mit seiner enormen Vielfalt unterschiedlicher Kulturen und Lebensformen ist dafür ein beispielhaftes Experimentier- und Erfahrungsfeld.

Die Zusammenarbeit zwischen Kulturschaffenden, Institutionen und Festivals in den Städten und Regionen entlang der Donau, der Austausch von Theaterkulturen, Musiktraditionen und Tanzformen und ihren Akteuren führt – nach dem Prinzip „Einheit in der Vielfalt“ – zu einem Netzwerk von hohem kreativen Potential. Identitätsstiftendes Ziel ist es, eine enge Zusammenarbeit in verschiedenen künstlerischen Bereichen zu entwickeln. Der Aufbau eines europäischen Netzwerks von Kulturschaffenden aus dem Donauraum ist ein zentrales Projekt des Rats der Donaustädte und -regionen im Rahmen der EU-Donaustrategie. Unsere gemeinsame Plattform für die Zusammenarbeit in Kultur, Wissenschaft und Medien ist dabei die Europäische Donau-Akademie.

Ein zentraler Punkt ist auch die Stärkung der Zivilgesellschaft und der Bürgerrechte. Der Donauraum ist von einem in Europa einzigartigen multiethnischen Zusammenleben geprägt, aber er steht auch für latente Spannungen und offene Konflikte zwischen Ethnien, für Ausgrenzung, Vertreibung bis zum Genozid vor noch wenigen Jahren auf dem Balkan. Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsprojekte spielen bei der Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen im Donauraum eine zentrale Rolle – denken wir nur an die große und schwierige Aufgabe der Integration der Roma. Über 5 Millionen Roma leben unter zum Teil erbärmlichen Bedingungen in Südosteuropa.

Denken wir auch an die Begegnung junger Menschen aus den Donauländern. Wir haben „Toleranz-Camps“ und Begegnungsprojekte junger Menschen entlang der Donau aufgebaut, die wir fortführen und die miteinander vernetzen werden. Ziel ist der Aufbau eines Europäischen Donau-Jugendwerks.

Und die Stärkung der freien und unabhängigen Medien ist eine weitere zentrale Voraussetzung für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und demokratischer Verhältnisse im Donauraum. Dies kann durch Ausbildungs- und Austauschprogramme für junge Journalisten gefördert werden oder durch den Aufbau eines Donau-Medien-Netzwerks, wie wir es vor kurzem im serbischen Novi Sad gegründet haben.

Mein Freund und Lehrmeister Dr. Erhard Busek hat einmal in Ulm gesagt: „Wenn nicht im Donauraum europäische Identität entwickelt wird, wo sonst?“

Dabei gilt ein Grundsatz: er wurde in der Abschlusserklärung der letzten Europäischen Konferenz der Donaustädte und -regionen in Budapest erneuert: „Demokratie, Toleranz, Humanismus, die Achtung der Religionsfreiheit und der unbedingte Wille, sich jedweder Form von Nationalismus und Extremismus zu widersetzen, sind die Grundlagen unserer gemeinsamen Entwicklung.“

Nur verwurzelt in diesen Werten ist europäische Identität, ist kulturelle Identität im Donauraum denkbar.

Kultur an den Ufern der Donau – das ist für mich persönlich wie ein großes Kaffeehaus, gesellschaftlicher Schmelztiegel, mehrdeutig und tiefsinnig wie der Strom selbst … das Kaffeehaus: ein europäisches, identitätsstiftendes Phänomen, allemal in den Donaustädten, wo es ein kosmopolitisch orientiertes Publikum mit Witz, Zauber und Melancholie in seinen Bann zog. Vieles davon ist längst Vergangenheit, die Akteure in finsteren Zeiten in alle Welt zerstreut. Heute geht es um die Wiedergewinnung des vermeintlich alten und doch so modernen europäischen Geistes der Aufklärung, um das große und ehrgeizige Projekt Europa zu gestalten. Wir brauchen heute mehr denn je kulturelle Neugierde und die Bereitschaft, den fremden Nachbarn zum Bekannten zu machen – gerade im Donauraum. Machen wir uns auf den Weg!

03/11
Peter Langer
Zuständig für Internationale Kontake und Koordinator der Europäischen Donau-Akademie Ulm
Donaubeauftragter der Städte Ulm und Neu-Ulm
Koordinator des Rats der Donaustädte und –regionen

Migration, Integration and Health
Beitrag von Harald C. Traue

Während ich das junge Wasser der frisch entsprungenen Donau betrachte, frage ich mich, ob ich, wenn ich ihr zu den unterschiedlichen Völkern und Volksgruppen bis hin zum Delta folge, in eine Arena blutiger Schlachten gelangen oder in den Chor einer Humanität eintreten werde, die ungeachtet der verschiedenen Sprachen und Kulturen dennoch einheitlich ist.
Claudio Magris, Donau: Biographie eines Flusses, 1988

„Migration, Integration and Health: The Danube Region” ist eine Sammlung von 23 internationalen Beiträgen aus Serbien, England, Holland, Deutschland, Österreich und Kroatien mit insgesamt 327 Seiten. Die renommierten 37 Autoren des Buches beleuchten aus ihren historischen, philosophischen, politologischen und medizinischen Blickwinkeln die Migrationsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts entlang der Donau, jenem Strom, der zur Metapher für die Öffnung der EU nach Südosten wurde. Das Buch ist das Ergebnis mehrerer Tagungen und Arbeitssitzungen der Europäischen Donau-Akademie und dem Aufbau eines Netzwerks von Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachgebieten. Dieser mehrjährige Prozess und sein heutiges Ergebnis wurde von der Universität Ulm, den Städten Ulm und Neu-Ulm, der Baden-Württemberg-Stiftung und last not least von CPI Ebner & Spiegel ideell und finanziell unterstützt. Durch diese Unterstützung konnte das Vorhaben realisiert werden.

Durch einen mehrfachen englischsprachigen Editions- und Auswahlprozess konnte ein international höchster wissenschaftlicher Standard erreicht werden. Es ist ein gemeinsam herausgegebenes Werk der Europäischen Donau-Akademie und der Universität Ulm (H.C. Traue), Universität Tübingen (R. Johler) sowie der Queen Mary University in London (J. Jancovic Gavrilovic). Das Buch ist bei Pabst Science Publishers (Lengerich, Berlin, Bremen, Miami, Riga, Viernheim, Wien, Zagreb) erschienen und kostet 35 €. Dieser Verlag ist Publikationen verbunden, die sich mit Fragen im Schnittfeld zwischen Sozialwissenschaft und Medizin befassen.

Warum dieses Buch?
Politisch motivierte Vertreibung, aber auch ökonomisch bedingte Migration haben in besonderer Weise die Geschicke der Donauländer mit ihrer Vielfalt an Menschen und Kulturen bestimmt. Der lange Schatten dieser Geschichte wird die Wasser der Donau noch lange verdunkeln, denn das Hin- und Herwandern der Menschen war mit erheblichem Leid und Elend für die betroffenen Menschen verbunden. In dem Ausmaß, in dem diese Völker-ver¬schiebungen mit ethnischen Zugehörigkeiten begründet wurden, sind die Mittel der Menschen¬transfers brutaler und rücksichtsloser geworden. Besonders betroffen sind die Länder des ehemaligen Jugoslawien und die umliegenden Gebiete, die deshalb auch im Mittelpunkt dieses Buches stehen.

Dieses Buch ist ein Dokument der Migrationsgeschichte und dessen Konsequenzen bis auf den heutigen Tag, damit sich Unkenntnis nicht als Hemmschuh bei der gegenwärtig mit Volldampf vorangetriebenen politischen und sozialökonomischen Integration der Donauländer in ein gemeinsames Europa erweist, denn „die Ufer der Donau sind ein Test für das Europa von morgen, nicht im Reagenzglas, sondern mitten im Leben. Wir Westeuropäer haben vergessen, in diesem Freiluftlabor zu forschen und verstehen deshalb nichts von den Problemen im ehemaligen Jugoslawien“ (Martin Graff, 1998, S. 9).

Aus dem Inhalt

Die Umsiedlungs- und Vertreibungserfahrung der Donauregion wird von Karl Schlögel im ersten Kapitel in das gesamteuropäische Vertreibungsgeschehen eingeordnet. Er skizziert in seinem Beitrag die europäische Vertreibungsgeschichte der letzten 100 Jahre, dass unser heutiges Europa das Ergebnis von Migrations- und von Vertreibungswellen ist. Seine wichtigste These lautet, dass der Donauraum als ein Europa „en miniature“ gesehen werden kann, als das Resultat einer Entmischung ohne geschichtliches Beispiel. Wir sind Zeugen einer radikalen Abwicklung von Resteuropa, wie es nach 1945 oder 1948 übriggeblieben war. Die Frage ist, wie sich dies auf die Entwicklung einer erweiterten EU – eines neuen Europa -auswirken wird.

Der Historiker und Publizist Hannes Heer nahm sich die Weltmachtsideen und die Idee des „ethnisch reinen Staates“ vor, mit denen das nationalsozialistische „Dritte Reich“ den auf rabiate Weise den Südosteuropäischen Raum veränderte. Henrike Hampe vom Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm befasste sich mit den Vertreibungen der Deutschen aus Ungarn und dem früheren Jugoslawiens. Über die mehr als 3,7 Millionen Flüchtlinge des früheren Jugoslawien schreiben Goran Opacic und Kollegen von der Universität Belgrad. Sie machen deutlich, dass etwa jeder sechste Bürger aus Kroatien und etwa jeder zweite Bürger aus Bosnien und dem Kosovo während des Jugoslawienkrieges flüchten musste. Sie waren zu einem großen Teil Binnenflüchtlinge, weil sie innerhalb der Ursprungsländer blieben.

Das zweite Buchkapitel wirft einen soziologischen Blick auf den Jugoslawienkrieg. Natalija Basic untersucht die Entstehung von Feindbildern in Interviews mit ehemaligen Soldaten, den subjektiven Erfahrungen der „kleinen“ Akteure von Krieg und Vertreibung. Der Beitrag enthält Auszügen aus einem Interview mit einem 29jährigen Kriegsteilnehmer aus Osijek geführt hat. Sie arbeitet die Bedingungen exemplarisch heraus, die die Entstehung von Gewaltbereitschaft aus der Sicht dieses ehemaligen Soldaten beschreibt. Bei seinen Überlegungen zu Moral, NATO-Gewalt, Menschenrechte und das Völkerrecht weist Dieter S. Lutz den Leser auf zuweilen recht unbequeme Art auf die Blindheiten zum Einsatz militärischer Mittel am Beispiel Kosovo hin. Ausgehend von der Definition für Völkermord nach der Konvention von 1948 rollt er die Ungeheuerlichkeiten von Verbrechen auf, die mit Völkermord einhergehen, und die in manchen Fällen Gewissensnot und Moral an die Stelle von Politik und Recht treten lassen. Josip Babic, der Germanist und Vizepräsident der serbischen Goethe-Gesellschaft, geht der Frage der Verantwortung, Verpflichtung oder Schuld der Intellektuellen hinsichtlich der drittgrößten Katastrophe der europäischen Zivilisation in diesem Jahrhundert nach. Er wählte die Theorie des Massenwahns von Hermann Broch (der in seinen amerikanischen Exiljahren versuchte, den deutschen Nationalsozialismus als Manifestationsform eines pathologischen Zustands zu analysieren und Vorschläge zur ihrer Bekämpfung und zur künftigen Verhütung zu formulieren) um den Ausbruch des Nationalismus auf dem Balkan zu erklären. Der Philosoph Ulrich Weiß fragt sich, ob und wie die Deutungen der Geschichte des Donauraumes das aktuelle politische Handeln behindert. Geschichte ist – so argumentiert Weiß – nicht einfach eine Anhäufung von objektiven Tatsachen, sondern sie ist die plastische, sich ständig ändernde Gesamtheit der Wahrnehmungen von Geschichte. Er geht auf den Gründungsmythos Serbiens ein, der Schlacht auf dem Amselfeld von 1389, auf das Motiv des Sündenbocks auf das Motiv des Verrats – am Helden, oder am Volk, an der eigenen Religion, an der eigenen Kultur, die jeweils auf fatale Weise das politische Klima für die nachfolgende Kriegssituation angeheizt haben. In Baden-Württemberg ist Hans-Georg Wehling eine Institution: Er hat sich am Beispiel des Romans von Ivo Andric „Die Brücke über die Drina“ mit der Bedeutung des Flusses befasst, eines Flusslaufs, der modellhaft für die Donau stehen kann, die ja noch auf ihren große Erzählung wartet.

Das dritte Kapitel enthält Aufsätze über Integration. Reinhard Johler von der Universität Tübingen schreibt über die Bewegung der „Schwesterstädte“ als ein taugliches Modell für Bedeutung von Kommunen für die Europäisierung Europas. Der Wunsch nach „United in Diversity“ wird in dieser Bewegung ganz praktisch verwirklicht. Viele populäre Hoffnungen gelten den Möglichkeiten des Sports für die Integration von Migranten in die deutsche Gesellschaft. Klaus Seiberth und Ansgar Thiel zeigen auch Risse dieser etwas naiven Vorstellung und Verantwortungszuweisung, denn der Sport ist auch eine Abbildung ansonsten vorhandener Probleme mit der Integration. Sie machen aber auch eine Reihe von praktischen Vorschlägen für die Stärkung von Sportvereinen für die Integration. Ähnliche Überlegungen enthält der Beitrag von Karin Amaos und Luzi Santoso über Schüler mit Migrationshintergrund am Beispiel der Schulkarriere eines Schülers.

Monika Kleck beschreibt detailliert die Geschichte von 70 vertriebenen Frauen in Tuzla, die aus Srebrenica, Zvornik, Bratunac und Vlasenica vertrieben wurden. Es handelt sich also um sogenannte „internally displaced persons“, deren Schicksal aus der großen Sicht auf Flüchtlinge, die das Land verlassen, oft im Verborgenen bleibt, aber Gemeinsamkeiten mit deutschen Flüchtlingen nach dem 2. Weltkrieg aufweist, denn Armut erweist sich auch hier als Risikofaktor für Integration und Gesundheit. Andreas Breinbauer vom Institut für den Donauraum und Mitteleuropa in Wien, einer der Partner der Europäischen Donau-Akademie in Ulm, geht auf das Phänomen des Brain Drain am Beispiel von Mathematikern aus Österreich und Ungarn nach Westeuropa und in die USA ein. Da die überwiegende Mehrzahl der Wissenschaftler im Ausland bleiben will, müssen die Herkunftsländer einen erheblichen Verlust an qualifizierten Akademikern verkraften. Es wird deutlich, dass die Lebensverhältnisse und -chancen dringend in Europa angeglichen werden müssen.

Die abschließenden sieben Ausätze bilden das vierte Buchkapitel dieses Buches. Sie beschäftigen sich mit den extremen Belastungen, die mit der erzwungenen Migration einhergehen. Die Vertreibung von Menschen aus politischen, ethnischen oder rassistischen Motiven, zumeist gepaart mit handfesten ökonomischen Interessen, ist ein wesentliches Merkmal der Migrationsgeschichte im Donauraum. Die Zahl der traumatisierten Opfer ist groß. Die dabei erlittenen seelischen und körperlichen Verletzungen entstehen durch Menschenhand (man made desaster) und greifen deshalb besonders tief in die Identität und das soziale Selbstverständnis der Betroffenen ein. Die psychotherapeutische, medizinische und soziale Versorgung der Opfer dieser Ereignisse, die zu einem großen Teil unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, ist zu einem wichtigen Thema der Medizin und der Psychologie geworden (siehe Beiträge von Martin Aigner, Sanela Piralic und Fabian Friedrich aus Wien, Trudy Mooren aus Holland und Jörg Oster und Andrea Gruner aus Ulm).

Die Lage der Städte Ulm und Neu-Ulm als westlichste urbane Zentren an der Donau machen eine Versorgungseinrichtung für Betroffene aus Südosteuropa notwendig. Die Hilfe für Opfer und Überlebende extremer Traumatisierung, so argumentieren die Autoren der therapeutischen Beiträge Norbert Gurris, Gertrud Schwarz-Langer, Christine Grunert, Manfred Makowitzki, Matthias Odenwald und Harald C. Traue, kann ohne Verständnis für die besonderen ge¬schicht¬lichen, religiösen, kulturellen und politischen Bedingungen nicht gelingen, weshalb die ständige Auseinandersetzung mit diesen Themen für die therapeutische Arbeit eine wichtige Voraussetzung ist. Andererseits ermöglicht die Nähe der therapeutischen Beziehungen aber auch ein spezielles Verstehen der Lebens und Leidens in diesen Ländern. So wird durch diese Beiträge mit den lebendigen Schilderungen von Patientenschicksalen das Leid und Elend, das mit Entwurzelung, Vertreibung und in Kriegszeiten sich häufender Brutalität einhergeht, nicht im Mediengetümmel oder abstrakten Analysen übersehen (siehe auch den Beitrag von Harald C. Traue, Lucia Jerg-Bretzke und Jutta Lindert zur Flucht aus dem Kosovo).

Da dieses Elend Menschen willentlich von anderen Menschen angetan wird, zeigt sich die hässliche Seite des menschlichen Wesens in einer Deutlichkeit, die nicht zu einem Optimismus passt, mit dem manche naiven Zeitgenossen an eine politische Integration Südosteuropas in die Europäische Union glauben. Da die Narben langsam heilen ist es ein Gebot der Stunde, sich mit aller Kraft einer positiven Entwicklung der Europäischen Union entlang der Donau zu widmen, damit diese europäische Region wieder einlädt zur selbst bestimmten Mobilität der Menschen, zu einem warmherzigen, lebendigen und kreativen Miteinander.

Prof. Dr. Harald C. Traue
Wissenschaftlicher Leiter der Europäischen Donau-Akademie
Leiter der Abteilung Gesundheitspsychologie
an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm