So lässt György Konrád die Donau sprechen. Auf ihrem annähernd 2900 Kilometer langen Lauf bildet sie die Achse Mittel- und Südosteuropas und verbindet den Schwarzwald mit dem Schwarzen Meer – an sich schon ein europäisches Wunder.
Seit der weltpolitischen Wende von 1989/90 durchfließt der Strom zehn europäische Länder, von denen mit Rumänien und Bulgarien 2007 das fünfte und sechste EU-Mitglieder geworden sind. Und auch Serbien und Kroatien sehen ihre nahe Zukunft in der europäischen Gemeinschaft. Insgesamt 14 Länder liegen im Donaubecken, dem Einzugsbereich des großen Stroms. Die Donau-Anrainerstaaten stellen eines der bedeutendsten sozio-ökonomischen Potenziale innerhalb Europas dar. 115 Mio. Menschen leben allein in den Ländern, Regionen und Städten, die unmittelbar an der Donau liegen. Von daher war es nur folgerichtig, dass der Europäische Rat im Juni 2009 die EU-Kommission beauftragt hat, eine „Donau-Strategie“ zu erarbeiten und damit – nach der Ostseestrategie – ein weiteres Entwicklungsprogramm für eine Makroregion innerhalb der EU zu schaffen. Man könnte zugespitzt sagen: der Rhein ist der Fluss der europäischen Vergangenheit, die Donau der Strom der europäischen Zukunft.
Die Donauregion zeichnet sich durch eine kulturhistorische Bedeutung und kulturelle Farbigkeit aus, die in Europa einzigartig ist. Das Aufeinandertreffen verschiedenster Einflüsse – von der Habsburger Monarchie mit seiner katholisch- abendländischen Ausprägung über die byzantinische Orthodoxie bis hin zum osmanischen Reich, um nur die wichtigsten zu nennen – haben entlang der Donau eine Perlenkette von Städten, Kulturlandschaften und -denkmälern entstehen lassen.
Mit Wien, Bratislava, Budapest und Belgrad liegen allein vier europäische Hauptstädte und Kulturmetropolen an der Donau. Kathedralen, Kirchen, Klöster, Schlösser, Burgen und Festungen prägen den Lauf des Stroms. Und dazu durchfließt er Naturlandschaften, die in ihrer Schönheit und Vielfalt den Atem rauben: vom idyllischen Oberlauf über die Wachau durch die Weite der ungarischen Tiefebene, die grandiose Schroffheit des Eisernen Tores bis hin zum Naturparadies Donaudelta, wo sich die Donau in der unendlichen Weite des Schwarzen Meers verliert.
Niemand hat das besser dargestellt als Claudio Magris in seiner immer noch unübertroffenen Donau-Biographie: „… nicht umsonst ist die Donau der einzige wahrhaft europäische Fluss, protestantisch an seinem Ursprung, dann katholisch schließlich orthodox; in ihr spiegeln sich römische Ruinen wie byzantinisch Kuppeln, Kathedralen wie Synagogen, barocke wie auch osmanische Pracht“.
Die Kultur und insbesondere die Festivallandschaft entlang des Stroms bieten den ganzen Reichtum der Musikstile und Tanzkulturen, den die Donauregion zu bieten hat. Traditionelle Klänge und Tänze neben elektronischem Ethno- und Gypsy-Sound, Klassik neben Avantgarde, Zigeunermusik neben Rock, Pop und Jazz. Aus der Begegnung zwischen Tradition und Moderne entsteht immer wieder ästhetisch Neues, Ungewöhnliches. Dies gilt vor allem für die aktuelle Theaterszene in den Donauländern. Frühlings-, Herbst- und Sziget-Festival in Budapest, EXIT in Novi Sad, BITEF in Belgrad, Festivals in Rumänien und Bulgarien haben längst europaweite Ausstrahlung. Mit Sibiu, Linz und Pecs waren allein drei Städte in Donauländern in den letzten Jahren europäische Kulturhauptstädte.
In den letzten Jahren sind Festivals entstanden, die den Fluss selbst zum Thema machen und Künstlern und Ensembles aus den Donauländern eine Plattform bieten wie das Donaufest in Ulm/Neu-Ulm, die Donumenta in Regensburg oder das Internationale Donaufestival im rumänischen Tulcea, dem Tor zum Donaudelta. Dass dies auf wachsendes Interesse stößt, zeigen die 250.000 Besucher, die im vergangenen Jahr zum Donaufest nach Ulm und Neu-Ulm gekommen sind. Dort präsentierten sich unsere befreundeten Donaustädte und -regionen mit Musik- und Tanzensembles, Theater, Kunsthandwerk, Ausstellungen und Tourismus-Informationen.
Die Vielfalt der Kulturen und Lebensstile, ihre Sinnlichkeit und Lebendigkeit zu erfahren und dazu noch unbekannte Naturschönheiten entlang des Stroms kennen zu lernen – das ist auch die Grundlage für alle Formen des Kulturtourismus in den Donauländern. Hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, wie das Beispiel des Projektes eines Donauradwanderwegs über den bisherigen hinaus, nämlich von Budapest bis zum Schwarzen Meer zeigt.
Die Donau verbindet vor allem Städte und Regionen. Wenn wir „kulturelle Identität“ mit George Herbert Mead als Zugehörigkeit zu einem bestimmten kulturellen Kollektiv verstehen mit der Bereitschaft, für dieses Kollektiv verantwortlich zu handeln, dann sind es vor allem die Städte und Regionen, in denen ein solcher Prozess stattfinden kann.
In den Städten und Regionen werden die gemeinsame Geschichte, Gegenwart und Zukunft an der Donau am stärksten und unmittelbarsten erlebt – Grundlage jeder Identitätsbildung. Nehmen wir Ulm mit seiner reichhaltigen Geschichte mit und entlang der Donau. Von hier aus zogen Tausende von Menschen – die Donauschwaben – vor 300 Jahren auf „Ulmer Schachteln“ den Fluss hinab nach Südungarn, ins Banat, in die Batschka, aus schierer Not, um dort eine neue Heimat zu finden und über Jahrhunderte mit anderen Volksgruppen friedlich zu siedeln und fruchtbare Landschaften zu schaffen.
Das ist Geschichte.
Aber gerade in unserer Region leben bis heute viele Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft einen persönlichen Bezug zu den Regionen und Ländern entlang der Donau haben – seien es donauschwäbische oder andere Migrationszusammenhänge – und die heute ihre persönliche Donau-Geschichte, ihre „Donau-Identität“ wieder entdecken.
Das Europa der Zukunft ist ein Europa der Städte und Regionen. Nichts verkörpert diesen Grundsatz europäischer Verfassungspolitik besser als die immer engere Zusammenarbeit und Partnerschaft unserer Städte und Regionen entlang der Donau. Seit vielen Jahren werden gemeinsame Projekte in Kultur, Wissenschaft, Bildung, Ökologie und Wirtschaft entwickelt und durchgeführt. Immer häufiger kommt es zu Begegnungen junger Menschen (und Senioren, Carmen!). Es entstehen Partnerschaften und persönliche Freundschaften und es bilden sich immer mehr feste, unsere Städte und Regionen verbindenden Strukturen wie das Netzwerk der Donaustädte und -regionen. Wir haben am 11. Juni 2009 in Budapest einen Rat der Donaustädte und -regionen gegründet. Er wird uns bei den europäischen Institutionen mehr Gehör und Gewicht verschaffen und einen konkreten Beitrag zur Schaffung eines integrierten europäischen Donau-Raums leisten.
Wenige Tage nach Budapest hat der Europäische Rat die EU-Kommission beauftragt, eine „Strategie für den Donau-Raum“ zu erarbeiten. Dieser Beschluss hat unser ehrgeiziges Projekt einen guten Schritt vorangebracht: die Schaffung eines gemeinsamen, politisch, wirtschaftlich und kulturell miteinander verbundenen Entwicklungsraum entlang der Donau, eine europäische Makroregion vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer. Wenn dieses Projekt greifen will, dann muss es einen nachweisbaren Beitrag zur Entwicklung kultureller und politischer Identität im Donauraum leisten. In einem Papier zur EUSDR heißt es dazu:
„Einerseits ist der Donauraum kulturell und geschichtlich eng miteinander verbunden, zugleich aber hinsichtlich der Sprachen – 20 Sprachen! -, Kulturen, Religionen – fünf Religionen -, Wirtschafts- und Staatsformen ein heterogener Raum, dessen Zusammenwachsen ohne ein gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Region und ein gemeinsames Verständnis von regionaler Identität nur schwer zu erreichen ist. Die EU-Donauraumstrategie kann hier einen Beitrag leisten, diese Verbundenheit durch kulturelle, wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und kommunale Zusammenarbeit zu stärken. Der Donauraum muss zu einem europäischen Markenzeichen gemacht werden, die Strategie zu einem Element der Stärkung der regionalen Identität der Menschen, die in diesem Raum leben. Hierzu müssen Projekte entwickelt werden, die die kulturellen Gemeinsamkeiten, aber auch die kulturelle Vielfalt entlang der Donau fördern.“
Lassen Sie mich dazu einige Felder benennen:
„Kultur ist die Seele Europas“ ist ein Grundsatz der EU-Kulturpolitik. Gerade der Donauraum mit seiner enormen Vielfalt unterschiedlicher Kulturen und Lebensformen ist dafür ein beispielhaftes Experimentier- und Erfahrungsfeld.
Die Zusammenarbeit zwischen Kulturschaffenden, Institutionen und Festivals in den Städten und Regionen entlang der Donau, der Austausch von Theaterkulturen, Musiktraditionen und Tanzformen und ihren Akteuren führt – nach dem Prinzip „Einheit in der Vielfalt“ – zu einem Netzwerk von hohem kreativen Potential. Identitätsstiftendes Ziel ist es, eine enge Zusammenarbeit in verschiedenen künstlerischen Bereichen zu entwickeln. Der Aufbau eines europäischen Netzwerks von Kulturschaffenden aus dem Donauraum ist ein zentrales Projekt des Rats der Donaustädte und -regionen im Rahmen der EU-Donaustrategie. Unsere gemeinsame Plattform für die Zusammenarbeit in Kultur, Wissenschaft und Medien ist dabei die Europäische Donau-Akademie.
Ein zentraler Punkt ist auch die Stärkung der Zivilgesellschaft und der Bürgerrechte. Der Donauraum ist von einem in Europa einzigartigen multiethnischen Zusammenleben geprägt, aber er steht auch für latente Spannungen und offene Konflikte zwischen Ethnien, für Ausgrenzung, Vertreibung bis zum Genozid vor noch wenigen Jahren auf dem Balkan. Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsprojekte spielen bei der Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen im Donauraum eine zentrale Rolle – denken wir nur an die große und schwierige Aufgabe der Integration der Roma. Über 5 Millionen Roma leben unter zum Teil erbärmlichen Bedingungen in Südosteuropa.
Denken wir auch an die Begegnung junger Menschen aus den Donauländern. Wir haben „Toleranz-Camps“ und Begegnungsprojekte junger Menschen entlang der Donau aufgebaut, die wir fortführen und die miteinander vernetzen werden. Ziel ist der Aufbau eines Europäischen Donau-Jugendwerks.
Und die Stärkung der freien und unabhängigen Medien ist eine weitere zentrale Voraussetzung für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und demokratischer Verhältnisse im Donauraum. Dies kann durch Ausbildungs- und Austauschprogramme für junge Journalisten gefördert werden oder durch den Aufbau eines Donau-Medien-Netzwerks, wie wir es vor kurzem im serbischen Novi Sad gegründet haben.
Mein Freund und Lehrmeister Dr. Erhard Busek hat einmal in Ulm gesagt: „Wenn nicht im Donauraum europäische Identität entwickelt wird, wo sonst?“
Dabei gilt ein Grundsatz: er wurde in der Abschlusserklärung der letzten Europäischen Konferenz der Donaustädte und -regionen in Budapest erneuert: „Demokratie, Toleranz, Humanismus, die Achtung der Religionsfreiheit und der unbedingte Wille, sich jedweder Form von Nationalismus und Extremismus zu widersetzen, sind die Grundlagen unserer gemeinsamen Entwicklung.“
Nur verwurzelt in diesen Werten ist europäische Identität, ist kulturelle Identität im Donauraum denkbar.
Kultur an den Ufern der Donau – das ist für mich persönlich wie ein großes Kaffeehaus, gesellschaftlicher Schmelztiegel, mehrdeutig und tiefsinnig wie der Strom selbst … das Kaffeehaus: ein europäisches, identitätsstiftendes Phänomen, allemal in den Donaustädten, wo es ein kosmopolitisch orientiertes Publikum mit Witz, Zauber und Melancholie in seinen Bann zog. Vieles davon ist längst Vergangenheit, die Akteure in finsteren Zeiten in alle Welt zerstreut. Heute geht es um die Wiedergewinnung des vermeintlich alten und doch so modernen europäischen Geistes der Aufklärung, um das große und ehrgeizige Projekt Europa zu gestalten. Wir brauchen heute mehr denn je kulturelle Neugierde und die Bereitschaft, den fremden Nachbarn zum Bekannten zu machen – gerade im Donauraum. Machen wir uns auf den Weg!
03/11
Peter Langer
Zuständig für Internationale Kontake und Koordinator der Europäischen Donau-Akademie Ulm
Donaubeauftragter der Städte Ulm und Neu-Ulm
Koordinator des Rats der Donaustädte und –regionen